Vom Stilluppgrund über das Aschaffenburger Biwak und die Westflanke Schwierigkeit: T5
In den Zillertaler Alpen konzentriert sich das Interesse der Bergwanderer auf die Höhenwege und auf einige von markierten Steigen erschlossene Gipfel. Die Bergsteiger ihrerseits wählen in der Mehrheit die großen Gipfel im Hauptkamm. Die Rosswandspitze zieht da kaum Aufmerksamkeit auf sich, sie liegt im Ahornkamm, einem der ruhigen nördlichen Seitenkämme der „Zillertaler“. Dort verlassen wir die ausgetrampelten Pfade und suchen die unmittelbare Begegnung mit der Natur. Als autonome Selbstversorger beziehen wir ein schlichtes Biwak, im unmarkierten Gelände praktizieren wir die freie Wegsuche und am Gipfel genießen wir die fast garantierte Einsamkeit. Ein einzigartiges Hochgebirgserlebnis, insofern man die Fähigkeiten und die Bereitschaft mitbringt, auch sehr mühevolles und holpriges Gelände zu bewältigen.
Die Rosswandspitze erstiegen wir am 11. August 2011 über die Westflanke. Die Gipfeltour verbreitete Hochtourenatmosphäre, ihre Schwierigkeiten stuften wir als anspruchsvolle "Alpinwanderung" ein. Beim Abzweig (circa 2150 m) vom Aschaffenburger Höhenweg (Teilstück des berühmten Berliner Höhenwegs) begann das weg- und spurenlose Gelände. Nach teils anstrengenden 700 Höhenmetern erreichten wir das erste, mäßig steile Schneefeld (circa 2900 m) und kurz darauf eine Schuttrampe, mit der die alpinen Schwierigkeiten begannen. Um den bis 45° steilen Trümmerhang sicher zu besteigen, brauchte man absolute Trittsicherheit, Gewandtheit und Erfahrung mit hochalpinem Bruchgelände, das der auftauende Permafrostboden hinterlassen hatte. Es folgte ein harmloses zweites Schneefeld und das Erreichen des Grates zwischen südlichem Vorgipfel und Hauptgipfel. Zum Schluss wurde letzterer über den Südgrat erklettert. Es gab nur wenige und bis auf eine Ausnahme nicht ausgesetzte Kletterstellen (zwei Stellen 2. Grades, sonst 1. Grad). Wer genügend Erfahrung besitzt, wird die Feinorientierung am Südgrat ebenso genießen wie die senkrechten Tiefblicke hinab auf das Hasenkarkees.
Noch ein paar Worte zu unserer ersten Unterkunft, dem Aschaffenburger Biwak (2135 m). Es ist eine kleine Notunterkunft, die den Höhenwanderern und den Hirten dienen, die das Vieh auf den Hochweiden des Madereck- und Weißkars versorgen. In bescheidenem Maße kann man das Biwak auch für eine Gipfeltour nutzen. Man sollte den Aufenthalt allerdings nicht unnötig ausdehnen und die Hütte in tadellosem Zustand zurücklassen. Nach unserer Übernachtung im Biwak erreichten wir den Gipfel der Rosswandspitze bereits am frühen Vormittag. Zurück am Aschaffenburger Höhenweg schlugen wir den Weg zur Kasseler Hütte (2178 m) ein.